*17.11.1930 (Berlin) | † 20.3.1952 (Moskau (Gefängnis Butyrskaja))
Fritz Flatow
Mit 21 Jahren wegen Militärspionage zum Tode verurteilt
Fritz Nikolaus Flatow wuchs als zweites Kind eines Arztehepaares in Berlin auf. Sein Vater war in Russland gebürtig und jüdischen Glaubens, seine Mutter stammte aus Bulgarien. Die nationalsozialistischen Diskriminierungsmaßnahmen trugen womöglich ihren Teil dazu bei, dass sein Vater bereits jung an Jahren, am 16. März 1937, verstarb. Auch Fritz Flatow litt in der Schule unter antisemitischen Sticheleien. Daher siedelte die Mutter mit ihm und seiner Schwester zu einer entfernten Verwandten nach Österreich über.
1946 kehrte die Familie nach Deutschland zurück. Fritz ging 1949 nach Berlin, legte dort das Abitur ab und wurde am 10. April 1951 als Student der Mathematik an der Freien Universität (FU) Berlin immatrikuliert. Da er am 7. Juli 1948 wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden war, was der FU Berlin erst durch ein nachgereichtes polizeiliches Führungszeugnis zur Kenntnis gelangte, beschloss der Senat der Universität am 27. Juni 1951, Flatows Eignung zum Studium durch ein Disziplinarverfahren nachprüfen zu lassen. Das Verfahren wurde am 22. Oktober 1951 eingestellt, da sich Flatow seit 18. August 1951 in der DDR in Haft befand.
Im Oktober 1950 hatte er der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) das Angebot unterbreitet, Kontakt zu einem Bekannten herzustellen, der im deutschen Hauptquartier der sowjetischen Staatssicherheit in Berlin-Karlshorst tätig war. Zwar kam die Verbindung nicht zustande, doch begann Flatow, unter dem Decknamen „Reimann“ für die KgU zu arbeiten. Er überprüfte zunächst in Westberlin lebende politische Flüchtlinge aus der DDR auf ihre politische Einstellung und auf eine mögliche Anwerbung für die KgU. Später bestätigte er im Auftrag der KgU durch einen Besuch in Grimma das Verschwinden der beiden KgU-Vertrauensleute Herta Hähner und Erich Kirsten. Allerdings trennte sich die KgU bereits am 31. Mai 1951 von Flatow, weil man seine Berichte bezweifelte und er angeblich in Schwarzmarktgeschäfte verwickelt gewesen sein soll. Möglicherweise waren auch antisemitische Vorurteile bei der Einstellung der Zusammenarbeit mit ihm von Bedeutung.
Anschließend arbeitete Flatow nach KgU-Erkenntnissen und nach sowjetischen Ermittlungsunterlagen für die Organisation Gehlen. Für sie sollte er neue Mitstreiter in Sachsen werben, vor allem an Orten, an denen sowjetische Truppen stationiert waren. Bei sechs Reisen in verschiedene Städte der DDR soll er selbst Standorte in Dresden, Quedlinburg und Zittau ausspioniert haben.
Auf einer Zugfahrt von Dresden nach Berlin geriet er am 21. August 1951 in eine Personenkontrolle. Bei der Durchsuchung fand man bei ihm Aufzeichnungen, unter anderem Kennzeichen sowjetischer Militärfahrzeuge. Unter dem Verdacht der Spionage wurde er durch die „Eisenbahnabteilung“ der DDR-Staatssicherheit in Sachsen verhaftet. Bereits bei der ersten Vernehmung nach der Festnahme legte er ein umfassendes Geständnis ab.
Fritz Flatow wurde später in das MGB-Gefängnis Dresden auf der Königsbrücker Straße überführt. Nach vier Monaten Untersuchungshaft verurteilte das Militärtribunal der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (Feldpostnummer 48240) den 21-Jährigen am Heiligabend 1951 in Dresden auf der Grundlage von Artikel 58-6, Abschnitt 1 und Art. 58-11 des StGB der RSFSR zum Tod durch Erschießen. Der Mitangeklagte Günther Uhlig, den Flatow angeworben hatte und in West-Berlin vorstellen wollte, wurde zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt.
Das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR lehnte die Begnadigung Fritz Flatows am 18. März 1952 ab. Das Todesurteil wurde am 20. März 1952 im Butyrka-Gefängnis in Moskau vollstreckt. Ein Massengrab auf dem Friedhof Donskoje in Moskau wurde zur letzten Ruhestätte.
Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte Fritz Flatow am 20. März 1998 als Opfer politischer Repressionen.
Weitere Dokumente
- Fritz Nikolas Flatow, Rehabilitierungsbescheid mit Übersetzung, Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, 20. März 1998
- Biografie, Digitales Totenbuch: Donskoje 1950-1953, Facts & Files
Quellen
- BArch, MfS, BV Ddn, AP 12/54
- Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, K-97236
- Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), f. 7523, op. 76a, d. 80
- Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin, StudA, 6570
Veröffentlichungen
- "Erschossen in Moskau ..." Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953, hrsg. von Arsenij Roginskij, Frank Drauschke und Anna Kaminsky, 3. Auflage, Berlin 2008, S. 179
- Enrico Heitzer, Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 254 f
- Ines Reich/Maria Schultz (Hrsg.), Sprechende Wände, Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam, Berlin, 2015, S. 279-280
- Jochen Staadt, Hingerichtet und vergessen. Erst jetzt klärt sich das Schicksal von zehn verschollenen FU-Studenten, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 17 (2005), S. 104-110
- Jörg Rudolph/Frank Drauschke/Alexander Sachse, Hingerichtet in Moskau. Opfer des Stalinismus aus Sachsen 1950 bis 1953, Leipzig 2007, S. 28