„Im Namen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken …“

Urteile sowjetischer Militärtribunale (SMT) in Dresden

*14.11.1930 (Frankfurt am Main) | † 20.6.2018 (Hannover)

Siegfried Jenkner

Siegfried Jenkner, Porträtfotografie, Urheber nicht ermittelbar, Universitätsarchiv Leipzig, UAL, df 002191

Studentischer Widerstand an der Universität Leipzig


Im Wintersemester des Jahres 1949 begann der gebürtige Frankfurter Siegfried Jenkner sein Studium der Publizistik an der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Leipzig. Als sozialer Härtefall (sein Vater war noch in Kriegsgefangenschaft) erhielt er ein Stipendium.

Zur Zeit seines Studienbeginns wurde die zunehmende Sowjetisierung des Hochschulwesens in der SBZ immer spürbarer. So war sein Studium zu einem großen Teil von der Beschäftigung mit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung sowie von FDJ-Pflichtveranstaltungen geprägt. Durch die politische Indoktrination und die sich steigernde Einflussnahme der SED sah er sich stark in seiner Meinungsbildung und seinen außeruniversitären Aktivitäten beschränkt. Jenkner und andere Studierende waren zunehmend unzufrieden mit den politischen Zuständen. Gemeinsam mit Herbert Belter und anderen Kommilitonen knüpfte er ein Netzwerk aus Gleichgesinnten.

Als Teil der „Belter-Gruppe“ verfasste er Berichte über die Stimmung der Studierenden an der Universität, die Herbert Belter ab der ersten Kontaktaufnahme im Sommer 1950 an den Rundfunksender „RIAS“ in Westberlin übermittelte. Im Austausch dafür erhielten die Mitglieder der Gruppe DDR-kritische Literatur und Flugblätter, die sie im Vorfeld der am 15. Oktober 1950 stattfindenden Wahl zur ersten Volkskammer der DDR in Leipzig verteilten.

Als die DDR-Volkspolizei Herbert Belter am 5. Oktober 1950 im Zuge einer Personenkontrolle wegen fehlender Ausweispapiere festnahm und anschließend seine Wohnung durchsuchte, wurde sie durch den Fund von kritischer Literatur, Flugblättern und einer Namensliste auf die Gruppe aufmerksam. Innerhalb von vier Tagen wurden Siegfried Jenkner und andere Mitstreiter dem sowjetischen Ministerium für Staatssicherheit (MGB) übergeben und in dessen Untersuchungshaftanstalt in der Bautzner Straße in Dresden eingeliefert.

Das Militärtribunal der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland warf Siegfried Jenkner am 20. Januar 1951 in Dresden vor, Literatur und Flugblätter mit antisowjetischem und antidemokratischem Inhalt verbreitet und „Spionageberichte politischen Charakters“ verfasst zu haben. Wegen angeblicher Spionage, antisowjetischer Propaganda und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation wurde er zu 25 Jahren Freiheitsentzug in „Besserungsarbeitslagern“ verurteilt.

Nach kurzer Zwischenstation im Gefängnis Nr. 6 in Berlin-Lichtenberg wurde Jenkner 1951 über das Gefängnis Nr. 1 in Brest mit dem Zug gen Osten deportiert. In Workuta nahe dem nördlichen Eismeer sollte er die nächsten Jahre im Lager des Schachtes 9/10 seine Strafarbeit im Kohlebergbau verrichten. Infolge der widrigen Bedingungen magerte Jenkner stark ab. Während der gesamten Haftzeit verweigerten die DDR-Behörden seinen Eltern jegliche Auskunft über den Verbleib ihres Sohnes. Zwei Jahre nach Stalins Tod wurde Jenkner im Zuge einer Amnestie am 11. Oktober 1955 entlassen.

Nach seiner Flucht in die BRD studierte er an der Hochschule für Sozialwissenschaften Wilhelmshaven-Rüstersiel und an der Universität Kiel. 1965 promovierte er in Göttingen, 1969 erhielt er eine Professur für Politikwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen. Er blieb dort bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1996 tätig.

Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte Siegfried Jenkner am 23. Mai 1994 als Opfer politischer Repressionen. Für sein unermüdliches demokratisches Engagement erhielt er 2007 das Bundesverdienstkreuz am Bande. In einem Interview mit der Zeitschrift Spiegel im Jahre 2014 gab Jenkner Studenten kommender Generationen folgendes auf den Weg: „Sie sollen das eigene Denken nicht aufgeben. Sie sollen kritisch sein.“



Weitere Dokumente

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Quellen

  • Generalstaatsanwaltschaft d. Russischen Föderation, K-97073
  • RGWA, f. 461, d. 195878

Veröffentlichungen

  • Klaus-Rüdiger Mai, Der kurze Sommer der Freiheit. Wie aus der DDR eine Diktatur wurde, Freiburg/Basel/Wien 2023, S. 174-182
  • Uljana Sieber, Vom Dresdner Kellergefängnis ins Lager, Schicksale politischer Häftlinge in Sachsen, Katalog zur Ausstellung, Dresden 2013, Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden, S. 61-62, S. 83-84, S. 94, S 97, S. 105, S. 116, S. 136
  • Zeitzeugen-Projekt 1997-1999. Erfahrungen mit politischer Haft in der SBZ und DDR. Übersicht der Video-Interviews, Der Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Dresden 2004, S. 34 f