Glossar
Artikel 58 StGB RSFSR
Fast 90 Prozent aller in Dresden von SMT verurteilten deutschen Zivilisten wurden nach dem Artikel 58 des Strafgesetzbuches (StGB, russisch: Уголовный кодекс/Ugolownyj Kodex/UK) der wichtigsten und größten Sowjetrepublik, der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), verurteilt.
Als Gliederungselement benutzte das sowjetische Recht nicht die in Deutschland übliche Bezeichnung „Paragraph“ (§), sondern die Bezeichnung „Artikel“.
Artikel 58 war der bedeutsamste Artikel des sowjetischen politischen Strafrechts. Seine Bezeichnung „Konterrevolutionäre Verbrechen“ verweist auf seinen ursprünglichen Zweck, nämlich die Durchsetzung der nach der bolschewistischen Machtübernahme („Große Sozialistische Oktoberrevolution“) in Angriff genommenen gesellschaftlichen Veränderungen gegen deren Gegner, die als „Konterrevolutionäre“ bezeichnet wurden. Als konterrevolutionär galt gemäß Art. 58-1 jede Handlung, „die auf den Sturz, die Unterhöhlung oder die Schwächung der Herrschaft“ der Sowjets und der Regierung, auf die „Unterhöhlung oder Schwächung der äußeren Sicherheit“ und der „grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und nationalen Errungenschaften der proletarischen Revolution gerichtet“ war.
Der Artikel umfasste insgesamt 14 verschiedene Strafvorschriften, darunter „Spionage“ (58-6), „Antisowjetische Propaganda“ (58-10) und „Sabotage“ (58-14). Diese zeichneten sich durch eine große Unbestimmtheit aus, wodurch Artikel 58 weit auslegbar war („Gummiparagraph“).
Nach Abschaffung der Todesstrafe per Erlass vom 26. Mai 1947 betrug die meistens verhängte Höchststrafe 25 Jahre „Besserungsarbeitslager“. Zu den Strafen, die als „Maßnahmen des sozialen Schutzes“ verhängt wurden, gehörten neben Gefängnisstrafen und der Todesstrafe auch Verbannung und Einziehung des Vermögens.
Artikel 58 war von 1926 bis 1959 in Kraft.
Weiterführende Informationen:
Artikel 58 im Strafgesetzbuch der RSFSR vom 22. November 1926 in deutscher Übersetzung online
Friedrich-Christian Schroeder, Rechtsgrundlagen der Verfolgung deutscher Zivilisten durch Sowjetische Militärtribunale, in: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale Band 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Köln 2003, S. 37–58.
NKGB/MGB
Das Volkskommissariat für Staatssicherheit der UdSSR (NKGB, russ: Народный комиссариат государственной безопасности/Narodnyj komissariat gosudarstwennoi besopasnosti) wurde am 3. Februar 1941 durch Auslagerung geheimpolizeilicher Zuständigkeiten aus dem NKWD gegründet. Nach einer zweijährigen erneuten Eingliederung in das NKWD im Juli 1941 fungierte es seit April 1943 als eigenständiges Volkskommissariat.
Zu seinen Aufgaben gehörten die Auslandsaufklärung, die Spionageabwehr im Inneren, die Sicherung von Konvois, die Organisation von Sabotageakten in den von den Deutschen besetzten Gebieten, der Chiffrier- und Nachrichtendienst der Regierung sowie der Schutz der Partei- und Staatsführung der Sowjetunion.
Am 15. März 1946 erfolgte die Umbenennung der Volkskommissariate in Ministerien. Aus dem NKGB wurde das Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR (MGB, russ: Министерство государственной безопасности /Ministerstwo gosudarstwennoi besopasnosti).
Das Politbüro des ZK der KPdSU beschloss am 20. August 1946, die operativ-geheimdienstliche und Ermittlungstätigkeit in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) im MGB zu konzentrieren. Verhaftungen waren ab sofort dem MGB vorbehalten. Agenten, Erkenntnisse, Personal und Gefängnisse wurden vom MWD übernommen.
Nach Stalins Tod im März 1953 übernahm das MWD kurzzeitig erneut die Aufgaben des MGB. Doch bereits am 13. März 1954 wurden die Aufgaben der Staatssicherheit erneut aus dem MWD ausgegliedert und vom neu geschaffenen Komitee für Staatssicherheit (KGB) übernommen.
NKWD/MWD
Das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR (russ: Народный комиссариат внутренних дел/Narodnyj komissariat wnutrennich del) wurde am 10. Juli 1934 gegründet.
Zu seinen Aufgaben gehörten die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, der Schutz des sozialistischen Eigentums, standesamtliche Aufgaben, die Grenzsicherung, der Betrieb und die Bewachung von „Besserungsarbeitslagern“ sowie geheimpolizeiliche Aufgaben.
In den 1930er-Jahren wurde das NKWD zum zentralen Instrument des Massenterrors gegen die eigene Bevölkerung. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen die Hauptverwaltung der Lager (GULag) sowie die Hauptverwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten (GUPWI).
Mit der Besetzung Deutschlands übernahmen "Operativgruppen" des NKWD die „Säuberung“ der Sowjetischen Besatzungszone von „Spionen, Diversanten und anderen feindlichen Elementen“. Die Verhafteten wurden in Gefängnisse und Speziallager eingewiesen, die dem NKWD unterstanden.
Am 15. März 1946 erfolgte die Umbenennung der Volkskommissariate in Ministerien. Aus dem NKWD wurde das Ministerium für Innere Angelegenheiten der UdSSR (russ: Министерство внутренних дел/Ministerstwo wnutrennich del).
Das Politbüro des ZK der KPdSU beschloss am 20. August 1946, die operativ-geheimdienstliche und Ermittlungstätigkeit in der SBZ im Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR (MGB) zu konzentrieren. Verhaftungen waren von nun an dem MGB vorbehalten. Agenten, Erkenntnisse, Personal und Gefängnisse waren vom MWD an das MGB zu übergeben. In der Verantwortung des MWD verblieben die Gefängnisse für Verurteilte, die Speziallager und die Bewachung der Transporte von Gefangenen.
Nach Stalins Tod im März 1953 übernahm das MWD zusätzlich die Aufgaben des MGB. Am 13. März 1954 wurden die Aufgaben der Staatssicherheit wieder aus dem MWD ausgegliedert und vom Komitee für Staatssicherheit (KGB) übernommen.
Rehabilitierung
Die Russische Rehabilitierung deutscher Opfer sowjetischer politischer Repressionen seit 1992
Am 18. Oktober 1991 wurde das „Gesetz über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ erlassen, das in seiner ersten Fassung nur für Bürger der Sowjetunion galt. Mit der Novellierung am 22. Dezember 1992 wurde es auch auf Ausländer ausgeweitet.
Artikel 1 des Gesetzes nennt die verschiedenen Zwangsmaßnahmen, die als politische Repressionen anerkannt werden. Gemäß Artikel 5 wurden insbesondere Verurteilungen wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ pauschal aufgehoben. Abgesehen davon ist die Rehabilitierung Folge einer Einzelfallüberprüfung. Personen, die wegen Spionage, Terror, Diversion, Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene, wegen Verbrechen gegen die Frieden und die Menschlichkeit oder wegen militärischer und anderer Verbrechen bestraft wurden, werden gemäß Artikel 4 des Gesetztes nicht rehabilitiert, sofern in den Akten hinreichende Beweise vorliegen. Artikel 11 des Gesetzes ermöglicht den rehabilitierten Personen, deren Angehörigen sowie bevollmächtigten Forschern Zugang zu den Strafakten der Rehabilitierten.
Gemäß Rehabilitierungsgesetz können nicht nur Betroffene oder Verwandte, sondern jede beliebige Person einen Antrag auf Überprüfung der Repressionsmaßnahme stellen.
Mit der Wahrnehmung der sich aus dem Gesetz für die Rehabilitierung ergebenden Aufgaben wurde die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft bei der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation betraut.
Die Überprüfung der Verurteilung erfolgt in der Regel allein auf Grundlage der Materialien in der Strafakte, zum Beispiel der Verhörprotokolle, Zeugenaussagen oder Geständnisse. Eine neue Beweisaufnahme findet nicht statt.
Im Ergebnis der Überprüfung werden die Urteile entweder aufgehoben (Rehabilitierung), bestätigt (Ablehnung des Antrags auf Rehabilitierung) oder neu bewertet.
Mit dem 1. Juni 2008 übertrug das Auswärtige Amt dem Freistaat Sachsen und dieser der Dokumentationsstelle Dresden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten die Bearbeitung und Weiterleitung von Anfragen und Anträgen deutscher Staatsbürger nach dem Russischen Rehabilitierungsgesetz. Dies umfasst insbesondere die Beratung und Betreuung der Antragsteller, die Entgegennahme, Übersetzung und Weiterleitung von Anträgen auf Rehabilitierung an die zuständigen Stellen sowie die Entgegennahme, Übersetzung und Rücksendung der von dort ergangenen Bescheide. Zu den weiteren Aufgaben gehören die Unterstützung bei Akteneinsicht in russischen Archiven, Auskünfte an amtliche Stellen sowie die wissenschaftliche Auswertung der Rehabilitierungsvorgänge.
In einer Online-Datenbank kann nach den Namen von Personen recherchiert werden, von denen der Dokumentationsstelle Dresden bekannt ist, dass sie rehabilitiert wurden.
Die Ergebnisse der Überprüfung – sei es Rehabilitierung oder Ablehnung – stellen für die Bewertung des historischen Falls nur eine Quelle dar. Eine sachdienliche Beurteilung ist auf weitere Quellen, zum Beispiel aus deutschen Archiven, angewiesen. Die Entscheidungen der russischen Instanzen entlassen deren Adressaten bzw. Empfänger nicht aus der Verantwortung, sich ein eigenes Bild von jedem Einzelfall zu machen.
Weiterführende Informationen:
Website der Dokumentationsstelle Dresden: https://www.stsg.de/cms/dokstelle/rehabilitierung
Bert Pampel/Valerian Welm, Die Russische Rehabilitierung deutscher Opfer sowjetischer politischer Repressionen seit 1992 – eine Zwischenbilanz, abrufbar unter http://h-und-g.info/forum/schwerpunkt-5/21-russland/pampl
SMERSCH
„SMERSCH“ ist eine Sammelbezeichnung für voneinander unabhängige sowjetische Spionageabwehrstrukturen, die im Frühjahr 1943, während der Zeit des Zweiten Weltkrieges, geschaffen wurden. Die Abkürzung steht für „smert schpionam“ (russ.: «смерть шпионам») – „Tod des Spionen“.
SMERSCH-Einheiten bestanden beim Volkskommissariat für Verteidigung (Hauptverwaltung Spionageabwehr GUKR NKO), beim Volkskommissariat Kriegsflotte (Verwaltung Spionageabwehr UKR NKWMF) und beim NKWD (Abteilung Spionageabwehr OKR NKWD).
SMERSCH war nicht nur gegen die Spionage- und Sabotageaktivitäten des deutschen Gegners gerichtet, sondern auch gegen diejenigen seiner Verbündeten, darunter Japan. Außerdem zielten die Abwehrmaßnahmen gegen sowjetische Staatbürger, die auf Seiten der Deutschen gegen die Sowjetunion gekämpft hatten, zum Beispiel in der „Russischen Befreiungsarmee“ (ROA) des Generals Wlassow. Grundsätzlich wurden alle sowjetischen Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, als potenzielle Verräter und Deserteure angesehen und entsprechend streng überprüft. Dabei agierten die SMERSCH-Abteilungen rigoros nach dem Kriegsrecht. Zahlreiche Verdächtige wurden ohne Gerichtsprozess inhaftiert oder erschossen.
Mit dem Vorrücken der Roten Armee nach Osten wurde SMERSCH zusammen mit den anderen Sicherheitsdiensten ein Instrument bei der gewaltsamen Etablierung des stalinistischen Systems in den eroberten Gebieten. SMERSCH-Einheiten waren den Frontbevollmächtigten für die „Säuberung des Hinterlandes“, von deutschen Spionen sowie von sämtlichen „antisowjetischen Elementen“ unterstellt. Der Chef der GUKR "SMERSCH" NKO W. S. Abakumow wurde am 11. Januar 1945 zum Frontbevollmächtigten für die in Ostpreußen operierende 3. Belorussische Front ernannt.
SMERSCH-Angehörige waren Teil der für die „Säuberung“ geschaffenen Operativgruppen, nach Kriegsende entstanden jedoch auch Parallelstrukturen. Der Schwerpunkt der SMERSCH-Aktivitäten richtete sich gegen die nach dem Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion zurückkehrenden Kriegsgefangene und „Ostarbeiter“.
Am 4. Mai 1946 wurde die GUKR "SMERSCH" NKO als 3. Hauptverwaltung in das Ministerium für Staatssicherheit eingegliedert; neuer Minister für Staatssicherheit wurde SMERSCH-Chef W. S. Abakumow.
Weiterführende Literatur
SMERSCH. Istoritscheskije otscherki i archiwnyje dokumenty, Moskau 2003.
Ukas 43
Zu den Strafnormen, nach denen in Dresden deutsche Zivilisten von SMT verurteilt wurden, gehörte der Erlass (russisch: Указ/Ukas) des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943. Stalin, von dem die Initiative zu dem Erlass ausging, hielt die Normen des Strafgesetzbuches und insbesondere die damit verbundenen Strafmaße für unzureichend, um die Verbrechen der deutschen Besatzer in den eroberten sowjetischen Gebieten, die im Zuge des Vorrückens der Roten Armee wieder befreit wurden, angemessen zu sühnen.
Nach „Ukas 43“ waren die „deutsch-faschistischen Übeltäter, die der Tötung und Misshandlung sowjetischer Zivilbevölkerung und gefangener Rotarmisten schuldig sind“, mit der Todesstrafe durch Erhängen zu bestrafen. „Spione und Vaterlandsverräter unter den Sowjetbürgern und deren Helfer“, das heißt sowjetische Staatsbürger, die mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet hatten (Kollaboration), sollten mit 15 bis 20 Jahren Verbannung und Zwangsarbeit bestraft werden. Neben der Bestrafung der deutschen Täter und ihrer ausländischen Helfer zielte das Kriegssonderstrafrecht des Erlasses mithin auch auf die Säuberung der befreiten Gebiete von „antisowjetischen Elementen“ unter der einheimischen Bevölkerung. Zwischen 1943 und 1952 wurden daher auch mehr Inländer nach dem Erlass verurteilt als Angehörige der feindlichen Armeen.
In der Praxis wurde der Erlass vielfach rechtswidrig angewendet. Obwohl „Ukas 43“ beispielsweise auf Straftaten in den besetzten Gebieten der Sowjetunion beschränkt war, wurde er auch zur Aburteilung von Vergehen deutscher Zivilisten gegen sowjetische Staatsbürger im Deutschen Reich genutzt. Dazu zählten vor allem Misshandlungen sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter. Tausende deutsche Kriegsgefangene wurden in Massenverurteilungen 1949/1950 nach dem Erlass zu Zwangsarbeit verurteilt, die nach dem Text nur für einheimische Kollaborateure als Strafe vorgesehen war. Nach einer Direktive vom 29. November 1949 sollten deutsche Kriegsgefangene für den Fall, dass nicht genügend Belastungsmaterial für eine konkrete verbrecherische Tätigkeit vorlag, wegen „Beihilfe“ verurteilt werden.
Erst am 11. Januar 1983 verlor der Erlass, der niemals rechtswirksam unterzeichnet und veröffentlicht worden war, seine Gültigkeit.
Weiterführende Informationen:
Erlass in deutscher Übersetzung online
Andreas Hilger/Nikita Petrov/Günther Wagenlehner, Der „Ukaz 43“: Entstehung und Problematik des Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 19. April 1943, in: Ders./Ute Schmidt/Günther Wagenlehner (Hg.), Sowjetische Militärtribunale Band 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953, Köln 2001, S. 177–209.