*7.2.1922 (Colmnitz bei Freiberg) | † 20.10.1951 (Moskau (Gefängnis Butyrskaja))
Werner Schneider
Als liberaldemokratischer Unternehmer und Student verfolgt
… Daten, Ereignisse und Namen sind frei zusammengestellt.
Richard Werner Schneider
Dresden, 7. Juli 1951
An
das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR
Moskau
Gnadengesuch
Am heutigen Tage wurde ich vom hiesigen Militärtribunal in drei Paragraphen des Militärstrafgesetzbuches der UdSSR und nach dem Kontrollratsgesetz 43 für schuldig befunden und zum Tode durch Erschießen verurteilt.
Ich wende mich höflichst in dieser Form an das Präsidium des Obersten Sowjet und bitte darum, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und von der Todesstrafe abzusehen. In diesem Falle trifft mich die ganze Härte der Kriegsgerichtsdisziplin, die ich bestimmt nicht verdiene.
Mein Gesuch begründe ich mit folgenden Ausführungen:
Im Jahre 1948 verließ ich die sowjetische Besatzungszone Deutschlands und verzog nach Westberlin, um die Gefängnisstrafe von 6 Monaten, die ich wegen Wirtschaftsvergehen erhalten hatte, nicht verbüßen zu müssen. In Berlin begann ich das Studium der politischen Ökonomie an der „Hochschule für Politik“, welches ich im November 1950 beendete. Bei einem Besuch meiner Mutter im August 1949 wurde ich jedoch verhaftet und musste die Strafe abbüßen.
Danach kam ich zum ersten Male zur Überprüfung in das hiesige Untersuchungsgefängnis.
Im Jahre 1950 besuchte ich Weihnachten zum 3. Mal meine Mutter, wo ich erneut verhaftet und diesmal unter Anklage gestellt wurde.
In den Protokollen der Untersuchung über meine Spionagetätigkeit habe ich mich zweimal hintereinander selbst bezichtigt. Alle darin vorkommenden Daten, Ereignisse und Namen sind frei zusammengestellt.
Demnach, so erklärte ich (in) der Untersuchung, hätte ich von Januar bis August 1949 in Rostock für den französischen Geheimdienst „Garde Mobil“ den Hafen Rostock fotografiert und 2 Aufnahmen geliefert, gegen Bezahlung, ferner zu diesem Zweck eine Kamera erhalten.
Ich hatte gehofft durch dieses Geständnis vorerst Ruhe zu bekommen, da sich ja alles langsam im Zuge der Untersuchung aufklären musste. In der heutigen Sitzung schenkte mir das Gericht aber keinen Glauben und erkannte mich für schuldig.
Die Hauptbelastungszeugen sagen angeblich das aus, was ich ihnen gesagt hätte, keiner hat auch nur den kleinsten konkreten Beweis. Ihr Wissen ist oftmals so mangelhaft und verkehrt, dass sie ihre eigenen Aussagen in Widerspruch bringen. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen Prätorius ist total in Frage gestellt.
Als Vorsitzender der liberalen Hochschulgruppe zeichnete ich mitverantwortlich für die Herausgabe eines Mitteilungsblattes, welches unter den Studenten verteilt wurde, davon habe ich ein Exemplar aus Leichtsinn und Großtuerei an meine frühere Braut geschickt, aber doch nie zum Zwecke der Antisowjethetze. Es ist richtig, wenn ich dafür büßen muss, denn neben vorwiegend Hochschulangelegenheiten war auch ein antisowjetischer Witz abgedruckt. Ich bitte zu bedenken, dass ich an dem Druck und der Verteilung hätte nichts ändern können, das war Angelegenheit des Redaktionsausschusses, aber ich hätte, meine Konsequenz, danach meinen Rücktritt erklären sollen, was erst im Januar 1950 geschah.
Zum Kontrollratsgesetz 43 erkläre ich, dass es erwiesen ist, dass der gefundene Sportkarabiner meinem Großvater gehörte, der ihn 1945 versteckte. Ich habe davon erst durch ein Testament, welches im Jahr 1949 gefunden wurde, erfahren. Darin vererbte mir diesen mein Großvater. Ich sehe die Schuld ein, denn ich habe nichts getan, um das Sportgewehr zu vernichten.
Zu den Aussagen der vorgeführten Zeugen erkläre ich:
Maschinsky, Rolf habe ich im Alkoholrausch großsprecherisch über Spionage erzählt. Ich habe hierbei nur angegeben und es stimmt nichts, es ist in seiner Aussage kein Anhaltspunkt dabei. Die Aussagen des Zeugen Prätorius sind vornehmlich die Vorwürfe der Untersuchung, die ich vergleichsweise mit den Tatsachen jeweils nach jeder Vernehmung in der Zelle erzählte. Seine Aussagen sind so widerspruchsvoll, dass ein großer Teil sofort widerlegt wird. Fast alle Nachforschungen erwiesen sich als unwahr. Zum Termin fehlte Prätorius.
Lydia Milkereit habe ich auf Veranlassung der Untersuchung einen Zettel geschrieben, worin ich sie aufforderte, alles über meine Spionagetätigkeit zu erzählen. Der Erfolg war, dass sie sagt(e), ich hätte über den Verkauf von Fotos gesprochen. Belastend war, dass ich bei ihr, meiner damaligen Verlobten, meinen Foto(apparat) aufbewahrte, daneben jedoch auch meinen Rundfunkapparat und anderes Eigentum. Um diese Zeit besuchte ich eine Freundin in Rostock, was Milkereit nicht wissen sollte, deshalb antwortete ich ausweichend. Nachforschungen bei meiner Bekannten Öunapuu blieben vollkommen ohne Erfolg, so z. B. der angebliche Diebstahl von Transportbücher(n) aus einem Safe in einer sowjetischen Dienststelle in Rostock.
Vom Zeugen Maschinsky habe ich die Antworten gefordert, da er mich oft besuchte, war anzunehmen, dass er weiß:
Ob ich mich jemals antisowjetisch geäußert habe.
Ob ich ihn oder andere zur Spionage aufgefordert habe.
Ob ich mich antisowjetisch betätigt habe.
Maschinsky weiß von alledem nichts. Seine Aussagen vor dem Tribunal waren im Verhältnis zum Protokoll sehr bescheiden.
Zu meiner letzten Verteidigung; und was eine Milderung der Strafe erwirken soll, füge ich an, dass ich eingesehen, gelernt habe, vieles falsch gemacht zu haben. Vieles tat ich aus Unkenntnis, wie z. B. das Mitführen von amerikanisch-lizensierten Journalen in die Wohnung meiner Mutter. Ich bitte auch zu bedenken, dass vieles sich im Jahre 1949 abspielte. 1950 erst erkannte ich klar z. B. den Charakter der FDP. Ich habe konsequent meinen Austritt erklärt. Ca. 40 Studenten an der Hochschule gruppierten sich um mich und wir forderten unter Prof. Dr. Reif eine Ost-West Zusammenarbeit.
Die französische Macht lehne ich ab, nachdem mein Vater dort verhungerte, eine Zusammenarbeit wäre doch schon aus Gewissenskonflikten unmöglich. Die Amerikaner töteten 1945 in Dresden meine Schwester. Blieb doch nur der Engländer, mit dem ich zusammengearbeitet hätte.
Politische Diskussionen, wie z. B. in meiner Wohnung am 7.2.1950, habe ich mit radikaler Manier unterbunden, sobald sie gegen den Osten gingen. Menschen, die mich vor der Untersuchung belasteten, schickten mir einen Brief, indem steht, ich soll nicht mehr in die Ostzone fahren, weil ich sonst verhaftet würde. Dies ist die gleiche Person, die mich bereits zum zweiten Mal anzeigt. Der Brief ist vorhanden und kann überprüft werden.
Die Weiterleitung eines Entwurfes für einen Wahlflugzettel habe ich unterbunden, als ich die antisowjetischen Äußerungen las. Die Herstellung der Flugblätter unterblieb, als die Parteien die Einheitsliste zur Wahl am 15.10.1950 erklärten.
Ich weiß nicht, was ich noch alles schreiben kann zu meiner Verteidigung. Ich will mich einschränken und es soll bei der Bitte bleiben:
Begnadigen Sie mich zu einer Freiheitsstrafe und lassen Sie mich nicht erschießen, ich werde es ewig danken.
Im Zusammenhang damit bitte ich für meine Mutter. Sie ist 56 Jahre und zu 25 Jahren Lager verurteilt worden. Die Schuld daran trage ich allein.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung erwarte ich Ihren Entscheid
Werner Schneider
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