Torgau - Speziallager und DDR-Strafvollzugsanstalt
Weniger als jeder zehnte Dresdner SMT-Verurteilte verbüßte seine Strafe zumindest zeitweise im sowjetischen Speziallager Nr. 10 (1946–1948) oder in der DDR-Strafvollzugsanstalt Torgau (1950–1990). Beide Vollzugseinrichtungen befanden sich im Gefängnis Fort Zinna, das während der Zeit des Nationalsozialismus als größtes aller Gefängnisse der Wehrmachtjustiz errichtet worden war. Mit dem Wehrmachtgefängnis Fort Zinna, dem Wehrmachtgefängnis Brückenkopf und dem Mitte 1943 nach Torgau verlegten Reichskriegsgericht bildete Torgau im Zweiten Weltkrieg das Zentrum der nationalsozialistischen Militärjustiz im besetzten Europa. Die Begegnung sowjetischer und amerikanischer Truppen am 25. April 1945 in Torgau, die weltweite Aufmerksamkeit fand, kündigte das nahende Ende des nationalsozialistischen Deutschlands an.
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Das sowjetische Speziallager Nr. 10 in Torgau von Mai 1946 bis Oktober 1948
Im September 1945 richtete die sowjetische Geheimpolizei im Fort Zinna das Speziallager Nr. 8 ein. Es diente als Internierungslager für Deutsche, die gemäß Befehl Nr. 00315 des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten der UdSSR vom 18. April 1945 als „feindliche Elemente“ in Gewahrsam genommen worden waren. Dazu zählten insbesondere Funktionäre der nationalsozialistischen Partei sowie Leiter nazistischer Ämter und Organisationen, die gemäß den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz der drei Siegermächte vom August 1945 zu verhaften und zu internieren waren. Im März 1946 wurde das Speziallager Nr. 8 in die benachbarte Seydlitz-Kaserne (heute „Husaren-Park“) verlegt und ein Jahr später aufgelöst. Die Gefangenen kamen in die Speziallager Buchenwald und Mühlberg. In das frei gewordene Fort Zinna zog am 14. Mai 1946 das Gefängnis Nr. 7 aus Frankfurt (Oder) ein, das im Juni desselben Jahres die Bezeichnung „Speziallager Nr. 10“ erhielt.
Unter den verurteilten deutschen Staatsbürgern, die fortan dort gefangen gehalten wurden, befanden sich sowohl Männer und Frauen, die den Nationalsozialismus aktiv gestützt hatten und teilweise an dessen Verbrechen beteiligt waren, als auch der Spionage verdächtigte Personen und wegen illegalen Waffenbesitzes Verurteilte. Auch Menschen, die gegen die Errichtung der kommunistischen Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) Widerstand leisteten, gehörten zu den Häftlingen.
Ende November 1946 wurde ein Großteil der verurteilten deutschen Gefangenen in das Speziallager Bautzen überstellt. Das Lager Nr. 10 diente fortan als Durchgangsgefängnis vor allem für sowjetische Staatsangehörige, die von sowjetischen Militärtribunalen (SMT) verurteilt worden waren. Zu ihnen zählten Zivilisten und Soldaten, die wegen Kollaboration mit den Deutschen („Vaterlandsverrat“), wegen Verstößen gegen die militärische Disziplin oder wegen krimineller Delikte vor dem Militärgericht gestanden hatten. Tausende wurden vom Bahnhof Torgau mit sogenannten Pendelzügen in Transporten zu etwa 1 000 Gefangenen in die Zwangsarbeitslager in der Sowjetunion verbracht.
Für die Inhaftierten des Lagers Nr. 10 gestalteten sich die Haftbedingungen je nach Art der Unterbringung – im Kreuzbau oder in Kellern; zu viert, fünft oder sechst in Einmannzellen oder Sälen – sehr unterschiedlich. Es herrschten hygienischer und medizinischer Mangel, totale Isolation von der Außenwelt sowie Ungewissheit über das weitere Schicksal.
Hunderte Speziallagerinsassen verstarben an Krankheiten und an den schlechten Lebensbedingungen. Bis zur zeitweisen Abschaffung der Todesstrafe am 26. Mai 1947 ließ die Besatzungsmacht im Lager Nr. 10 auch SMT-Todesurteile vollstrecken. Die Verstorbenen und Erschossenen wurden wahrscheinlich im nordwestlichen Teil des Wallgrabens von Fort Zinna verscharrt.
Zwischen Mai und Oktober 1948 wurde das Lager Nr. 10 nach Verlegung und Entlassung der Gefangenen aufgelöst.
DDR-Strafvollzug an SMT-Verurteilten in Torgau (1950–1956)
Das Fort Zinna war zwischen 1950 und 1990 eine Strafvollzugsanstalt der DDR für Männer. Von 1948/49 bis 1975 waren in Torgau darüber hinaus auch (männliche) Jugendliche inhaftiert. Zu den ersten Insassen des Fort Zinna gehörten 1950 SMT-Verurteilte, die nach Auflösung der letzten sowjetischen Speziallager nicht entlassen worden waren. Außerdem wurden in den 1950er und 1960er Jahren aktive Gegner der SED-Politik, die von DDR-Gerichten verurteilt waren, in Torgau gefangen gehalten. Später überwog der Anteil derjenigen, die wegen krimineller Delikte inhaftiert waren. Daneben verbüßten auch politische Gefangene, die wegen „ungesetzlichen Grenzübertritts“ oder anderer „Verbrechen gegen die DDR“ verurteilt worden waren, ihre Strafen in Torgau.
Der Haftalltag in Torgau war von Kontrolle, Bevormundung, Bespitzelung und Schikanen geprägt. Die baulichen und hygienischen Zustände besserten sich zwar erheblich, blieben jedoch bis 1989 mangelhaft; das Gefängnis war oftmals überbelegt. Die Arbeitsnormen in den verschiedenen Arbeitskommandos waren hoch.
Allein 1950 starben insgesamt 115 Gefangene in Torgau, sowohl infolge ihrer vorangegangenen Haft in den sowjetischen Lagern als auch an den schlechten Haftbedingungen im DDR-Strafvollzug. Auf Anordnung des Ministeriums des Inneren äscherte das Krematorium in Halle (Saale) in den 1950er Jahren die Leichen der in Torgau verstorbenen Häftlinge ein. Ihre Urnen wurden namenlos auf dem Hallenser Gertraudenfriedhof verscharrt.
Die meisten SMT-Verurteilten wurden zwischen 1954 und 1956 in der Folge von Amnestien aus Torgau entlassen.
Seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 ist die frühere Strafvollzugseinrichtung Torgau im Fort Zinna eine Justizvollzugsanstalt des Freistaates Sachsen.
Erinnern und Gedenken heute
Im Juni 1991 gründete sich der Förderverein Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau. Er entstand aus einer gemeinsamen Initiative von West-Berliner Zeithistorikern und Torgauer Bürgern, von denen einige bereits vor 1989 versucht hatten, die tabuisierte Geschichte der Haftstätten in ihrer Heimatstadt zu erforschen. Seit 1999 befindet sich das DIZ Torgau in Trägerschaft der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft. Die ständige Ausstellung im Schloss Hartenfels widmet sich der NS-Militärjustiz, den sowjetischen Speziallagern Nr. 8 und Nr. 10 sowie dem Strafvollzug der DDR in Torgau. Die Verurteilten, die sich oft mutig dem Krieg und der Diktatur widersetzt haben, stehen dabei im Mittelpunkt.
2007 wurde vor der Justizvollzuganstalt Torgau ein Gedenkbereich eingerichtet, der an die Opfer der verschiedenen Verfolgungsperioden vor und nach 1945 erinnert. Ein Holzkreuz, das die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) 1992 errichtete, ist in die Neugestaltung einbezogen. Mit der Enthüllung einer Figurengruppe, die den Opfern der Wehrmachtjustiz gewidmet ist, weihte die Stiftung Sächsische Gedenkstätten den Erinnerungsort am 9. Mai 2010 feierlich ein.
Literatur mit Bezug zu SMT-Verurteilten in Torgau
Brigitte Oleschinski/Bert Pampel, „Nazis“, „Spione“, „Sowjetfeinde“? Die SMT-Verurteilten im April 1953 in Torgau, in: Deutschland Archiv 28 (1995), Nr. 5, S. 456–466.
Brigitte Oleschinski/Bert Pampel, „Feindliche Elemente sind in Gewahrsam zu halten“. Die sowjetischen Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 in Torgau 1945–1948. Leipzig 1997 (=
Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft. Band 3).
Wolfgang Oleschinski/Julia Spohr, „Heute: Haus der Erziehung“. Der Strafvollzug der DDR in Torgau 1950 bis 1990. Dresden 2018 (=Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft. Band 18).
Website des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Torgau: www.diz-torgau.de